13. Das Ash-Experiment

1951 zeigte der Gestaltpsychologe Solomon Asch in dem sogenannten Konformitätsexperiment, wie sich Gruppenzwang auf das Entscheidungsvermögen einer Person auswirkt. An dem Experiment nahmen 50 männliche Studenten teil. Darin musste ein Proband eine Linie (=Ziellinie) mit mehreren unterschiedlich langen Linien vergleichen und eine Schätzung abgeben, welche der Vergleichslinien mit der Ziellinie übereinstimmte. Mit ihm im Raum war eine Gruppe weiterer Teilnehmer, von denen der Proband glauben sollte, dass sie – wie er – Probanden sind; tatsächlich waren sie aber Eingeweihte und Teil des Experiments. Alle sollten ihre Einschätzung laut aussprechen, der echte Proband allerdings als letzter. In 18 Durchläufen gaben alle ihre Einschätzung ab, in 12 davon schätzten die Scheinprobanden kollektiv falsch.

Das Ergebnis: Ein Drittel aller „echten“ Probanden schlossen sich mindestens ein Mal der Meinung der Gruppe an, obwohl die Einschätzung ganz offensichtlich falsch war. Als Begründung sagten die meisten später, sie hätten sich bewusst der falschen Meinung der Gruppe angeschlossen aus Angst aufzufallen oder ausgelacht zu werden. Ein anderer Teil der Probanden zweifelte die eigene Einschätzung an und vertraute auf das Urteil der Mehrheit.

Obwohl das Experiment hinsichtlich verschiedener Punkte (z.B. sehr eingeschränkte Auswahl der Personengruppe) kritisiert wurde, konnte Asch dennoch gewisse Tendenzen für Gruppenkonformität herausarbeiten:

  1. Die Angst, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden
  2. Der Glaube, dass die Mehrheit recht hat (Schwarmintelligenz)

Diese beiden Ursachen werden allerdings von folgenden Faktoren beeinflusst:

  • Gruppengröße (je größer, desto konformer)
  • Ausmaß der Einstimmigkeit (je weniger unterschiedliche Meinungen, desto konformer)
  • Komplexität der Aufgabe/ des Themas (je komplexer, desto konformer)
  • Anonymität (mindert die Konformität)

In den sozialen Medien sind Status und Anerkennung die größten Motivatoren. Dadurch treten neben der Kommunikation und Interaktion – oft unbewusst – das Bewerten und Vergleichen in den Vordergrund. Der Schlüssel dazu sind Likes und Follower, und je nach Netzwerk auch andere Komponenten (z.B. Snapstreaks). Sie spiegeln ein konkretes Maß an Zustimmung wider, vergleichbar mit dem Punktescore eines Computerspiels. Die Erfindung des „Like“- Buttons zeigt symptomatisch welche enorme Auswirkung eine kleine „Spielmechanik“ auf das Nutzerverhalten haben kann: die Jagd auf Likes beflügelt nicht nur die Fantasie von denjenigen, die Inhalte produzieren, sie sind inzwischen auch ein käufliches Produkt, welches das persönliche Ranking aufwertet.

Unter Berücksichtigung von Aschs Erkenntnissen steigen damit Neid, Minderwertigkeitsgefühle und sozialer Druck auf den Einzelnen in Abhängigkeit von der Chatgröße und der Meinungsvielfalt. Anonymität ist prinzipiell gut, um dem Druck der Masse zu entkommen, jedoch ist sie auch ambivalent, da freie Meinungsäußerung sowohl positiv (Authentizität), als auch negativ (Enthemmung) sein kann.


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