04. Der unsichtbare Dritte – das Geschäftsmodell

Wir sind kein Unternehmen, das darauf ausgerichtet ist, Geld zu verdienen. Wir sind ein Unternehmen, das Gemeinschaften schafft und dafür sorgt, dass diese Gemeinschaften in dieser Welt etwas bewirken.

Kyle McGinn, Produktmanager bei Facebook UK

Heute sind Social-Media-Betreiber weltweit die größten und erfolgreichsten Unternehmen. Facebook beispielsweise hat einen aktuellen Marktwert von 512 Mrd US$ (Stand Mai 2018) – ein offensichtlich geniales Geschäftsmodell, das seinen Usern kostenlosen Zugang gewährt, seine Einnahmen aber aus Werbung von Drittanbieter generiert.

Ein fataler Irrtum dabei ist, dass sich die Plattformnutzer als Kunden sehen. Kunde ist derjenige, der bezahlt – und das sind einzig die Werbetreibenden, die in den Sozialen Medien sehr viel Geld für das Schalten von Anzeigen bezahlen. Sie sind dort sehr aktiv, denn nirgendwo sonst finden sie mehr potenzielle Kunden: Facebook zählt aktuell über 2,7 Milliarden User weltweit – das ist fast ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung.

Warum sind Social-Media-Plattformen so beliebt?

Weil sie neben dem kostenlosen Zugang vor allem menschliche Grundbedürfnisse nach Anerkennung und Zugehörigkeit befriedigen. Diese gehen weit über die soziale Komponente hinaus. Tatsächlich sind sie „erste Hilfe“ bei schleichend negativen Gefühlen, wie Langeweile, Unentschlossenheit, Frustration und Einsamkeit. Da diese Plattformen immer verfügbar sind, scheinen sie auf einfache und unterhaltsame Weise jede Art von Bedürfnis zu befriedigen.

Die Aufmerksamkeit der Nutzer von Social-Media-Plattformen wird damit zu einem wertvollen Produkt, um das sich alle Bemühungen der Plattformbetreiber und deren Kunden dreht.

Aus Marketing-Perspektive ist es also nachvollziehbar, wenn Konzerne, wie beispielsweise Facebook, alles daran setzen Tools zu entwickeln, die die Aufmerksamkeit des Users so lange wie möglich fesseln und immer wieder dazu verleiten zu Facebook zurückzukehren.

Es wird ein rundum-Wohlfühlpaket für ihn geschnürt mit immer neueren Features und Gimmicks, wie Messenger-Dienste, Newsticker usw, sodass er eigentlich nichts anderes mehr zum Glücklichsein braucht. Und während er dort seine wertvolle Zeit verbringt, wird er unbewusst in eine Filterblase gehüllt, die mit der eigentlichen Realität nichts mehr zu tun hat.

Die Illusion der Wahl

Um dies zu erreichen, analysieren Algorithmen die Vorlieben der Nutzer und stellen speziell auf ihr Interesse abgestimmte Inhalte zur Verfügung. Ein daraus resultierendes Tool ist beispielsweise der Auto-Play-Button auf Youtube, der nach Beendigung eines Videos ein beliebiges anderes Video mit ähnlichem Inhalt automatisch abspielt, oder die Pull-to-Refresh-Funktion, die beim Hinunterscrollen ständig neue Inhalte lädt und dadurch kein Ende der Seite erkennen lässt.

Auch der „Like“-Button ist so ein Tool, das eine magische Wirkung auf das Selbstwertgefühl ausübt und weitreichende Folgen hat.

Die Beteuerung der Social-Media-Betreiber, auf der Seite der User zu stehen, klingt zynisch und aufgesetzt angesichts des erläuterten Geschäftsmodells. Denn Social-Media-Nutzer sind nichts anderes als Versuchsobjekte des „größten anthropologischen Experimentes des 21. Jahrhunderts“, und tragen indirekt dazu bei, dass Algorithmen durch Deep Learning immer besser verstehen, wie wir „ticken“.

Wie im vorherigen Kapitel erläutert, ist das Personalisieren von Inhalten auch von Vorteil. Kritisch wird es jedoch, wenn es darum geht, Meinung und damit Verhalten des Nutzers zielgerichtet zu verändern.

Es kommt sehr häufig vor, […] dass Menschen Dinge mit den besten Absichten entwickeln, die dann unbeabsichtigte, negative Folgen haben.

Justin Rosenstein, ehemaliger Mitarbeiter bei Facebook und Erfinder des „Like“-Buttons

Interessantes zum Weiterlesen:

Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen von Nir Eyal (Buch)

How the Apps You Use Impact Your Daily Life and Emotions von Ariana Battle und Khalil Grell (Artikel)

Inside the Social Network (BBC-Dokumentation)


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